Pressebericht im Hamburger Abendblatt 29.3.2000

Hamburger Abendblatt Reisen
 

Tief verschneit, kaum berührt

Bei Tschechisch verstehen wir nur Bahnhof oder die sprichwörtlichen Böhmischen Dörfer. Doch was Dalibor, der tschechische Begleiter unserer Reisegruppe da in einem Redeschwall seinem Kollegen sagen will, kapieren sogar wir. Dass er mit „absolutn kalamita” die weiße Katastrophe vor dem Fenster unserer Pension beschreibt, die Schneemassen, die sich über Nacht angehäuft haben, ist leicht zu entschlüsseln.

Die Haustür ist zugeweht. Vom Zufahrtsweg zur Pension keine Spur. Es gibt auch keine Straßen mehr, von Langlaufloipen ganz zu schweigen. Wir sind in Filipova Hut (Philipshütten), mit 1115 Metern der am höchsten gelegene Ort des Böhmerwaldes, in der Luftlinie höchstens 15 Kilometer nordöstlich vom bayerischen Rachel-Gipfel entfernt, in einer malerischen Streusiedlung mit einem guten Dutzend Häusern und der Pension „Hajenka”. Sie ist frisch renoviert und verdient drei Sterne: für Sauberkeit, für die Ordnung und fürs deftige Essen. Doch mit westlichen Standards darf man die tschechische Hotellerie auf dem Lande noch nicht messen. Alles ist zweckmäßig und ordentlich, doch man kommt in den Nationalpark Böhmerwald ja auch nicht zum Luxusurlaub, sondern der Natur und des Sports wegen, verausgabt sich tagsüber in der klaren Luft zwischen Baumriesen und Flüssen auf den Loipen und fällt nach nahrhaftem Essen und einem süffigen Bier rechtschaffen müde ins Bett.

Langlauf ist in der Tschechischen Republik Nationalsport. Dementsprechend gut ist das Loipensystem, besonders in der Gegend um Filipova Hut, etwa eine Autostunde östlich vom Grenzübergang Bayerisch-Eisenstein. Es liegt wie eine Spinne mitten im Netz von Hunderten Loipenkilometern. Nach Antgl, Modrava„ Kvilda, Churanov oder Zadov zeigen die Wegweiser durch Baumfluchten hindurch über die Hochebene. In der Regel werden die Loipen gut gepflegt, doch bei einem Meter Pulverschnee aus der letzten Nacht kommt der Loipendienst nicht nach. Er konzentriert sich auf das nationale Langlaufzentrum um Churanov.

Doch dass so viel Schnee auf einmal fällt, versichern die Einheimischen, passiert selten. Wie Maulwürfe machen wir entlang der gut beschilderten Trasse unsere eigenen Spuren. Bis zum Knie sinken wir in den Neuschnee. Weit und breit weder Straßen noch Orte; der Nationalpark ist sehr dünn besiedelt und Naturschutzgebiet. An den riesjgen Tannen hat der Schnee bizarre Formen modelliert. Bis zum Berg Breznik (Pürstling), direkt gegenüber dem bayerischen Lusen, führt die erste Tour. Zum späten Mittagessen gibt es in Modrava Palatschinken und das unvermeidliche Pivo – Bier -, eine der wenigen tschechischen Vokabeln, die man sich leicht merken kann.

Am nächsten Tag geht es den Kachelbach und am Dreiseenmoor entlang, an Schwemmkanälen vorbei, die dem Holztransport dienen, und hinauf zum Berg Oblik. Auf dein ehemaligen Todesstreifen der Granne schlagen wir eine Schleife zurück zur Pension. Erst nach dem Studium der Wintersportkarte der Gegend wird uns klar, dass wir uns hier nicht nur wegen des Naturschutzes auf den ausgeschilderten Loipen halten sollen. Im Gebiet der ehemaligen Militärzone können noch Blindgänger liegen. Auch vor der Einsamkeit dieser Gegend, die ja ihren Reiz ausmacht, wird auf der Karte gewarnt: „Die Gefahr für den Wanderer ist die große Entfernung der Touristenziele von der Zivilisation”. Dabei ist es genau das, was wir hier suchen. Und so einsam ist es dann auch wieder nicht, stellt sich heraus: “Hinter Laden links zu Kuhe”, lautet die Wegbeschreibung eines tschechischen Sportlers, den wir mitten im weißen Nichts nach dem Weg Richtung Horsky Kvilda fragen. Hier ein Laden? Tatsächlich, mitten zwischen Bäumen und Bächen
finden wir ihn an einer Wegkreuzung: „Kolonial” bietet alles von Kartoffeln bis zur Tasse Kaffee. Fünf oder sechs Häuser stehen hier weit verstreut und alle heißen hier „Hones”, alle sind verwandt. In der Landkarte ist der Familienname sogar als Ortsbezeichnung eingetragen. Und gleich hinter dem Laden stehen auch die Kühe, die uns den Weg weisen sollen, zottelige schottische Hochlandrinder.

Langlauf-Urlaub in der Gruppe hat seine Reize, vor allem in einer touristisch noch wenig erschlossenen Gegend wie dem Böhmerwald. Die Anfänger werden von Jaroslav, Langlauflehrer und Bergführer, in die Künste der Sportart eingeweiht: „Die Skier müssen vorwärts gleiten und rückwärts nicht.” Diese in klare Vorgabe in die Praxis umzusetzen, erscheint manchem zunächst unmöglich. Doch der Wunsch, wie die anderen das Langlaufparadies im Nationalpark zu erkunden, beschleunigt den Lernprozess. Die Fortgeschrittenen werden von Dalibor zu landschaftlich interessanten Punkten geführt und ganz nebenbei in die zeitgeschichtlichen und geographischen Besonderheiten dieses kaum berührten Landstrichs eingeweiht. Jeder kommt auf seine Kosten.

BIRGIT WEICHMANN

Die Texte stammen von den oben aufgeführten Zeitungen.

 

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