Pressebericht in “Vital” 12/2002

Vital Reisen
 

     

Wege in die Stille.
Skilangläufer finden in Tschechiens grenznaher Region ein ideales Gebiet.

Unser Langlaufquartier heißt „Hájenka” – das ist Tschechisch für „Forsthaus”. Doch die ehemalige Hütte des Grafen Philipp von Kinsky steht nicht im Wald, sondern mitten auf einem herrlichen Plateau. Durch das Fenster sehen wir einzelne Bauernhöfe, Solitärfichten und zerzauste, über die Hochebene verstreute Moorbirken. An Schnee fehlt es nicht. Während nebenan im Bayerischen Wald die weiße Pracht zu kümmerlichen braunen Häuflein zusammengeschmolzen ist, trägt die höchstgelegene Siedlung des Böhmerwaldes eine anderthalb Meter dicke Schneedecke. „Acht Monate im Jahr herrscht Winter – vier Monate bleibt es kalt”, spotten die Alten über ihre raue Heimat. Kein Monat ohne Frost! Es regnet oder schneit an 180 Tagen im Jahr. Der stetig wachsenden Wintersportgemeinde kann’s recht sein: Von Dezember bis März zählt der Böhmenwald zu den schneesichersten Gebieten Europas.

Der flüsternde Wald
Zwei Gruppen werden am ersten Tag von Reiseführer Jaroslav Neužil gebildet: eine „etwas sportliche” und eine „gemütliche”. Das ist gut so. Denn die Fortgeschrittenen, vier Männer, eine Frau, schießen mit Jaroslavs Assistentin Sona in einem Affenzahn am Rest der Gruppe vorbei. Wir anderen stehen eher wackelig auf den Brettern, schieben uns vorsichtig in den Wald. Auf und ab geht es vom kleinen Wintersportort Kvilda, über Bergrücken, durch Hohlwege und Täler. Vorbei am Trainingsgebiet der tschechischen Langlauf-Elite, Zadov-Churáiíov. Übers Glashüttendorf Zlatá Studnia zur Streusiedlung von Horská Kvilda. Nur 13 Kilometer sind es heute – die haben’s dafür in sich: Vereiste Abfahrten machen uns zu schaffen, wir gleiten nicht – wir rutschen. Einige aus der „gemütlichen” Gruppe gehen auf Nummer sicher, schnallen die Bretter ab und wandern neben der Loipe. Alles ist erlaubt. Pause. Wir strecken die Nasen in die Sonne, trinken Tee aus Thermoskannen, genießen die friedlich-weiße Winterlandschaft, schweigen. Da ist es: Das leise Rauschen – das Murmeln des Windes in den Bäumen.

Autos sind rar im größten Waldgebiet Mitteleuropas. Dafür bläst pausenlos der Wind, der dem Nationalpark seinen romantischen Namen gab: Šumava, die Rauschende. Von herber Schönheit und unendlich weit dehnt sich der Gebirgszug an der Grenze zu Deutschland und Österreich: Wälder, Hochmoore, Gletscherseen, naturbelassene Bäche – „Kanada vor der Haustür”, so kommt es unserer Gruppe vor. Nur 7 Kilometer westlich der „Hájenka” liegt Bayern. „Doch in der CSSR war westlich der Orte Kvilda, Modrava und Srni die Welt zu Ende, nicht ein einziger Wanderweg war zu betreten”, berichtet Jaroslav Neužil. Wie hat sich das Niemandsland seitdem gewandelt! Keine Sperrzone mehr, dafür grenzüberschreitende Wege und Loipen. Nur die breiten Waldschneisen in Grenznähe weisen noch auf die militärischeVergangenheit hin. Seit 1991 ist das Waldmeer geschützt. Luchs, Wolf, Otter, Dachs, sogar Auerhähne leben hier, gerade im Sperrgebiet hatten sie Ruhe und konnten sich prächtig entfalten.

Dörfer sind rar: Nur 900 Menschen leben im Kern des Böhmenwaldes zwischen Železná Ruda und dem LipnoStausee. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es hier 60 Dörfer, vor allem von Deutschsprachigen bewohnt. Dann vertrieben zunächst Deutsche die Tschechen, und nach dein Zweiten Weltkrieg wurde der Spieß umgedreht. „In den 50erJahren wurden die verlassenen Häuser der Deutschen dem Erdboden gleichgemacht”, erzählt Jaroslav Neužil, „da mit sich kein Republikflüchtling in den Mauern verstecken konnte.” In einigen Dörfern, wie Dobrá Voda (ehemaliger deutscher Name: Gutwasser), blieb wenigstens der Friedhof verschont.

Langlauf ist hier Volkssport
Gleich nach der Wende begannen die übrig gebliebenen Gemeinden, ein Netz markierter Wanderwege anzulegen. Mittlerweile durchziehen 300 Kilometer Loipe die Berge, vor allem tschechische Skiläufer kommen hierher. „In Tschechien ist Langlauf Volkssport”, erklärt Jaroslav Neužil, als wir auf ein paar Nachzügler warten. Bald zeigt sich, dass Langlaufkondition nichts mit Alter zu tun hat. In beiden Gruppen sind die ältesten Teilnehmer die fittesten. Ruth, 54-jährige Archivarin aus Berlin, führt meist die „Gemütlichen” an. In weißem Skianzug, gelben Stiefeln und farblich passendem Stirnband macht sie immer eine gute Figur. In der „sportlichen” Gruppe ist Walter ganz vorn. Der frisch pensionierte 61jährige Prokurist legt fast alle Wege doppelt zurück, um gute Fotomotive festzuhalten. „Herrlich hier. Die Leere. Die Ruhe. Kein Mensch auf den Loipen” – der Dortmunder genießt die Natur. „In Deutschland wuselt es von Menschen.” Hier wuselt nur Walter. Ein Phänomen: Immer wenn man meint, ihn für den Rest des Tages verloren zu haben, taucht er irgendwo wieder auf. Die kräftige böhmische Küche bringt unsere verbrauchte Energie zurück.

Mittags belohnen wir uns im Gasthaus mit Palatschinken, Heidelbeeren und Sahne. Abends bringt der Wirt der „Hájenka” – nach einem Glas Schnaps – deftige Suppen und böhmische Mehlspeisen auf den Tisch. Skiwandern macht einen Mordsappetit. Am Ende jedes Tages fühlen wir uns als Helden. Langlauf – etwas für Unsportliche? Von wegen! Mit meiner Arroganz einer Alpinskifahrerin ist es schnell vorbei. Muskelpartien, von denen ich nicht einmal etwas ahnte, machen sich bemerkbar. Jetzt bin ich eine echte Wintersportlerin, denke ich beim Einschlafen: Ohne Schlepplifte die Berge rauf- das geht also auch.

Der dritte Tag hält eine leichtere Strecke für uns bereit. Auf weichem Schnee schweben wir durch den Wald am Modrawsky Potok. In dieser absoluten Ruhezone des Nationalparks dürfen wir die Loipe nicht verlassen. Der glasklare Bach flüstert uns eine Geschichte von unberührter Natur, von Fischen, Eisvögeln, Gletscherseen. Dicke Schneehauben zieren Steine, die aus dem Wasser raffen, fantasievolle Muster sind in die meterhohe Schneedecke der Ufer geschnitzt. Glücksmomente … Skiwandern ist wie Meditation. Die monotone Bewegung tut gut: den Blick auf die Spur gerichtet, der Atem tief und gleichmäßig, der Kopf von Tag zu Tag leichter. Für Menschen, die viel sitzen und viel um die Ohren haben, kann es keine bessere Erholung geben. Willi, der unternehmungslustige Elektrotechniker, sagt, er habe schon lange nicht mehr so viel und so gut geschlafen.

Böhmische Dörfer
Jaroslav Neužil, unser Reiseführer, läuft nicht nur klasse Ski, er wird auch nicht müde, uns „seinen” Böhmerwald zu zeigen. Gemeinsam mit Soha weist er auf unscheinbare Details und Merkwürdigkeiten hin, führt uns zu übersehenen Orten, zu Siedlungen aus der Glashüttenzeit, Abraumhügeln von Goldgräbern, Resten des Eisernen Vorhangs. Die Woche gibt der Gruppe reichlich Gelegenheit, das Nachbarland intensiv kennen zu lernen. Wie bei allen AktivReisen, die der Regensburger Veranstalter „Begegnung mit Böhmen” organisiert (Infos rechts), geht es auch diesmal um Neugier und Bildung, um nachhaltige Reiseerlebnisse statt schnellen Konsum. Wer teilnimmt, sollte flexibel sein, denn in böhmischen Dörfern werden lieb gewonne touristische Standards selten perfekt erfüllt: Das Handtuch ist kleiner, das Frühstück weniger vielfältig als in westlichen Tophotels. Wir gleiten vorbei an Bauernhöfen mit tief gezogenen Dächern und Stapeln von Brennholz neben der Tür. Keine Schaufenster, kein Aprés-Ski. Die touristische Infrastruktur ist hier kaum entwickelt. Der beliebteste Wintersportort Kvilda erweist sich als bescheidenes Nest, keine Pizzeria, null Discos. In Filipova Hut’, unserem Standort, ist es so ruhig, dass man die Hasen auf dem Schnee hoppeln hört. Die Hausbar der „Hájenka” macht um 22 Uhr das Licht aus. Wer dann noch fit ist, macht einen Nachtspaziergang. Die Sterne funkeln um die Wette. Kurz bellt ein Hund in einem der wenigen Häuser. Und dann hört man wieder dieses leise Rauschen, das noch schöner ist als absolute Stille.

Die Texte stammen von den oben aufgeführten Zeitungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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